oder: unser bizarres Finanzsystem
Christoph Santner berichtet über Pioniere und Wegbereiter der Künstlichen Intelligenz. Diesmal geht’s um die Zukunft des Kapitals, oder besser: des kAIpitals.
Ist es nicht so? Mit die klügsten Köpfe jeder Generation arbeiten im Finanzwesen. Und trotzdem funktioniert das System nicht richtig, an dem sie jeden Tag rechnen und schrauben – und auch tricksen, zumindest einige. Oder sind hohe Inflation, Bankencrashes bzw. -rettungen, für die dann künftige Generationen geradestehen müssen, sowie milliardenschwere Rettungsschirme, die trotzdem allzu viele im Regen stehen lassen, der Ausdruck eines intelligenten
Systems? Jetzt kommt noch KI / AI hinzu. Wird’s dadurch besser, weil intelligenter – oder noch schlechter? Das hängt auch von uns ab, und von den Weichenstellungen, die wir in diesen Tagen vornehmen.
Gerade macht Worldcoin Schlagzeilen. „Krypto trifft Grundeinkommen“, titelt etwa Die Zeit. Nicht nur, weil der Initiator Sam Altman ohnehin schon im Scheinwerferlicht steht. Denn er ist auch Gründer von OpenAI / ChatGPT und damit medial omnipräsent. Diese neue globale, innovative Kryptowährung verursacht aber gerade auch in Deutschland Schlagzeilen. Weil der aus Bayern stammende Alex Blania Mitgründer ist.
Neue Finanz-Impulse – für eine gerechtere Welt?
Blania bringt es in einem hörenswerten Podcast auf den Punkt: „Die einen hassen Worldcoin, die anderen feiern es.“ Weltweit haben sich bereits mehr als 2 Millionen Menschen registriert, gerade auch in Afrika, Lateinamerika, Asien. In aller Kürze worum es geht: Die Kryptowährung Worldcoin verfolgt offiziell das Ziel, das globale Finanzsystem gerechter zu gestalten. Dafür erhalten Nutzer, die sich an eigens eingerichteten sog. Orb-Stationen per Iris-Scan registrieren, ein Startkapital für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das ganze System soll weitgehend anonym laufen, lediglich hinterlegt durch den biometrischen Iris-Scan, der die Identifikation ermöglicht. Mitgründer Blania betont das Ziel, einen Zugang zum globalen Wirtschaftssystem für möglichst alle zu schaffen. Worldcoin strebt an, ein universelles Grundeinkommen aufzubauen, steht damit aber vor regulatorischen Herausforderungen.
An weltweit aufgebauten sog. Orb-Stationen registrieren sich Menschen mittels Iris-Scan, auf Wunsch auch ohne Namen. Bisher sind es mehr als 2 Millionen, gerade auch in Schwellenländern. Im Gegenzug gibt es das erste Startguthaben an Grundeinkommen im Wert von rund 50 USD. © Worldcoin
Im eigenen Whitepaper beschreiben die Gründer von Worldcoin ihr Krypto-System im Detail, und sie definieren es als Open-Source und dezentral. Die Baupläne des Orb-Scanners können eingesehen werden. Immerhin sind in dieses KI-gestützte Projekt bisher wohl rd. 115 Mio. USD an Risikokapital geflossen, auch deshalb, weil man weltweit mehr als 2.000 Orb-Stationen aufbauen will. In Deutschland gibt es bereits zwei davon, eine in Berlin und eine in Erlangen.
Die große Hoffnung namens Grundeinkommen (Universal Basic Income)
Im Silicon Valley weiß man besser als überall sonst, dass KI zwar neue Berufe schafft, aber viele Jobs auch deutlich reduzieren wird. Gerade deshalb sind die beiden Gründer erklärte Anhänger des UBI. Altman begründet seinen Denk- und Handlungsansatz: „Wir sind der Ansicht, dass wir anfangen müssen, mit Dingen zu experimentieren, damit wir herausfinden können, was jetzt zu tun ist.“
Wie auch immer dieses Abenteuer ausgehen mag: Ich finde es – erstens – spannend, dass endlich wieder mal jemand aus Deutschland mit auf der KI-Bühne steht und dieses Thema in good old Europe präsent macht. Zweitens: Es ist höchst an der Zeit, offener über den Zusammenhang von Kapital und KI zu sprechen. Ich habe dafür den Ausdruck „kAIpital“ geprägt und werde mit Partnern in Frankfurt dazu eine Konferenz machen. Denn in der ganzen Diskussion um Nachhaltigkeit und die 17 SDGs der UNO kommt ein Aspekt viel zu kurz: Die Rolle des Finanzsystems. Wo und wie unser Kapital – und ab nun eben auch kAIpital – arbeitet, das beeinflusst die Zukunft des Planeten und unserer globalen Menschheitsfamilie ganz massiv. Wir reden, forschen und agieren hier viel zu wenig. Immer noch so, als wäre Geld ein großes Tabu. In meinen letzten Beiträgen habe ich ja von der „AI for Good“-Konferenz in Genf berichtet. In diesem Sinne gilt es jetzt an einer zweiten Stellschraube zu drehen:
„Finance for Good“
Ja, Finance for Good. Profit for Good. Das ist das Gebot der Stunde. Geht Worldcoin nun in diese Richtung? Und wird diese Money-Machine wirklich der Menschheit zugutekommen? Die Zukunft wird es weisen. Zur Zeit schlägt sich Worldcoin weltweit mit Regulierungsbehörden herum. Dass es Skeptiker und Kritiker en masse geben wird, das war den Gründern von Anfang an klar.
BU: Werden dezentrale Open-Source-Ansätze wie Worldcom und innovative Produkte aus AI, Blockchain und Krypto neuen Wohlstand für alle schaffen? Regulierungsbehörden und Wallstreet werden auf jeden Fall mitmischen. © Christoph Santner, Foto generiert mit KI-Bildgenerator
Schließlich drittens: Ich kann nicht in die Köpfe von Altman, Blania & Co schauen. Aber ich finde es schon mal gut, dass Jungs aus der Tech-Branche das Finanzwesen aufmischen, trotz aller damit verbundenen Fragen. Denn hieß es nicht einmal: „WIR sind das Volk“? Und deshalb auch: „WIR sind das Geld?“ Was geschieht mit den rund 4.400 Mrd. USD, die laut McKinsey ab nun Jahr für Jahr an globalem Mehrwert durch KI geschaffen werden? Kommen die Gewinne daraus ohnehin wieder nur den cleveren Wohlhabenden zugute – oder schaffen wir damit ein besseres Leben für möglichst alle?
Wir sind das Geld
Ich finde also die Diskussion um KI, Finanzwesen, Grundeinkommen und Krypto wichtig und richtig. Wir haben eine historische Chance. Wie auch immer sich jede*r zu Worldcoin und KI positionieren mag: Die Welt bleibt nicht stehen. Drehen wir sie doch in die richtige, menschliche Richtung, auch wenn wir um diese Richtung ringen müssen. Um mit einem Bonmot abzuschließen: Ich wurde ja immer schon vom Schriftsteller und Aphoristiker Karl Kraus inspiriert, der am Beginn des 20. Jahrhunderts fast 40 Jahre lang praktisch im Alleingang die Zeitschrift „Die Fackel“ schrieb, ganze 922 Ausgaben! Er sagte: „Das bissl das ich les‘, das schreib ich mir selber.“ Und ganz in diesem Sinne sage ich: „Das bissl Geld das wir brauchen, das machen wir uns heute selber“.
ch freue mich, wenn mir jemand seine / ihre Gedanken dazu mitteilen möchte. Oder bin ich der einzige, der über ein KI-intelligentes Finanzsystem nachdenkt? Und vordenkt. Denn Lösungen finden wir nicht in der Vergangenheit, sondern nur nach vorne hin, stimmt‘s?
Christoph Santner ist langjähriger Autor, Redner und Consultant zu Innovationsthemen. Er ist auch der KI-Experte von forum Nachhaltig Wirtschaften und wird dort weiterhin über aktuelle KI-Entwicklungen berichten. Er ist Gründer der AInitiative to aimprove our Future.
christoph@ainitiative.net https://ainitiative.net/ https://kAIpital.net/